Mittelamerika (von Michael Danzer)

aus: JA-Heft 3/2001

Dass die Leute hier in Costa Rica, in Zentralamerika, mich als Ausländer ansehen ist offensichtlich: Meine Augen und meine Haut sind zu hell, meine Haare zu blond, meine Kleidung zu touristisch, und ich bin hier überdurchschnittlich groß. Das würde mir zu Hause mit gerademal 179 cm nicht passieren.
Die zweite Voraussetzung, Ausländer zu sein, sich selbst als ein solcher zu sehen, ist auch schnell beschrieben: Dieses Land ist nicht mein Heimatland, denn hier gibt es kilometerlange, palmenbesäumte Sandstrände, warmes, klares Wasser mit sanften Wellen das Pazifiks oder der Karibik, Regenwälder, Affen, Tukane, schlechte Straßen, in der Dusche kein warmes Wasser, Stromausfall, Leute, die tanzen können, die den Rhythmus im Blut haben, die irgendwoher wissen, dass man eine Hälfte auch bewegen kann, Menschen, die mit weniger viel zufriedener sind als wir, die ihr Leben mehr genießen können. Costa Rica ist ein Land mit einer anderen ethnischen Zusammensetzung, einer Mischung und einem Nebeneinander von hellhäutigen Europäern, Indigenas (die indianische Urbevölkerung), Schwarzafrikanern und Chinesen - eine Gesellschaft mit mehr Kindern und jungen Leuten als Erwachsenen und Alten, ein Staat ohne Armee und - darum bin ich ja hier - man spricht eine andere Sprache, eine sehr herzliche Art des Spanischen. Also sehr anders als das Deutschland, das ich kenne. Als Ausländer werde ich immer wieder mit meiner Herkunft konfrontiert. Hier bin ich eben nicht nur einfach Miguel, sondern eben auch Deutscher und Europäer.
Aber was macht mich dazu? Oder was verstehen die anderen darunter?
Für die Britin in meiner Sprachschule bin ich auf sehr britisch-humorvolle Weise ein weiterer Beweis für die in England sprichwörtliche "German Efficency": Ich komme nie zu spät zum Bus, kaufe die Tickets fürs Kino rechtzeitig, bevor sie ausverkauft sind, plane Zeit und Kosten für die Tour am Wochenende exakt... Und wenn wir ein Hotel mit Sonnenliegen besuchen würden, wäre ich wohl der erste, der früh um sechs Uhr mit seinem Handtuch sich eine Liege reservieren würde, denn auch deutsche Autos fahren sicher und zuverlässig. Michael Schumacher gewinnt sowieso immer und in Europa haben die Briten eh nichts mehr zu sagen.
Meine schweizer Reisekollegin hingegen hält uns Deutsche für arrogant und unflexibel, für Menschen, denen das Wort Höflichkeit eher fremd ist. Nicht verstehen kann sie die fehlende Flexibilität, wenn auf 3Sat Interviewbeiträge von Schweizern, die sich fürs Fernsehen schon bemühen, Hochdeutsch zu reden, auch noch untertitelt werden. Genauso wenig hat sie für deutsche Kunden übrig, die in ihrem Hotel auf deutsche unhöfliche Art bestellen: "Ich krieg' ein Bier!"
Wenn Gringos, also US-Amerikaner, Bürger der Hegemonialmacht über Zentralamerika und den Rest der Welt, sich über Europäer äußern, haben sie eigentlich keine Meinung, nur eine Ver- oder Bewunderung, dass man dort mehr als eine Sprache lernt.
Wenn man Ticos, Costarikaner, nach ihrer Meinung über Deutschland fragt, stößt man auf zwei sehr unterschiedliche Gesichtspunkte. Zum einen ein leicht verschrobenes, verschwommenes Geschichtsbild: "Deutschland? Ist das nicht das Land der Rassisten, das irgendwie geteilt war?" Und zum anderen erfährt man Respekt und Bewunderung der Technik und der wirtschaftlichen Stärke Deutschlands.
Nun sitz' ich hier, ich armer Thor und bin so klug als wie zuvor. Wer und was bin ich nun? Wahrscheinlich einfach nur

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