Schweiz (von Rainer Karlitschek)

aus: JA-Heft 4/2000

Hier wird offiziell deutsch gesprochen. Doch wer glaubt, er könne ohne Probleme einer richtig schweizerischen Unterhaltung folgen, vor dem habe ich großen Respekt. Ich beginne das erst zu lernen und wenn ich beispielsweise in die Bibliothek oder in einen Laden zum Einkaufen gehe und ein bewusstes "Größ Gott" von mir gebe, dann merke ich, dass fast alle Schweizer wechseln hin zu dem, was sie als schriftdeutsch in der Schule extra gelernt haben. Und sofort stehe ich außerhalb, bin kein Eidgenosse mehr und kann meine deutsche Herkunft nicht mehr verbergen. Andererseits spüre ich eine Freundlichkeit und ein Zuvorkommen an fast allen öffentlichen Stellen, die mir in Deutschland schwer abgehen. Hier geht man wirklich gerne Einkaufen, wenn man sich etwas leisten kann, denn hier kosten selbst einfache Grundnahrungsmittel mindestens das Doppelte als in Deutschland. Lediglich Luxusgüter sind vergleichsweise billig, wenn man sich wirklich eine echte Davidoff leisten will, oder einen Versace-Anzug.

Wenn ich die Tageszeitung öffne, die ich natürlich blenden lesen kann, verstehe ich von der aktuellen Tagespolitik doch nichts. Wie ist das mit der Bundesgenossenschaft? Welche Eigenständigkeit haben die Kantone? Wer ist eigentlich der Oberste im Staat? Kennt den irgendjemand? Am 4. August, dem Nationalfeiertag der Schweizerischen Eidgenossenschaft, am Tag des berühmten Rütli-Schwurs, hatten sich einige subversive Kräfte erdreistet am zentralen Rütlibaum eine Europafahne zu hissen. Doch damit nicht genug. Als die entsetzten Eidgenossen diesen Bruch vertuschen und schnell die Fahne wechseln wollten, war es ihnen nicht möglich, denn die subversiven Elemte (proeuropäische wohlgemerkt) hatten den Masten mit Fett eingeschmiert, so dass er nicht erklommen werden konnte. Den verantwortlichen Behörden blieb nichts anderes übrig, als den Pfahl zu fällen. In der Schweiz ein ernsthaft diskutierter Skandal. Ich ziehe es dann meist vor den Auslandsteil der NZZ mit den deutschen Nachrichten zu lesen. Da verstehe ich wenigtens was abgeht.

Bin ich hier Ausländer? Ja. Fühl ich mich hier wirklich fremd? Gerade neige ich dazu zu sagen, nein, obwohl ich selten so stark gespürt habe, wie schnell man am Rande steht, wenn man nicht die selbe Sprache spricht, obwohl es doch die gleiche ist. Aber für tatsächlich interkulturelles Lernen vor Ort, neue Erfahrungen hat es dann in den vergangenen drei Monaten doch nicht gereicht.

Und so tut es mir wirklich leid, wenn ich resignierend (ist das wirklich resignierend?) feststellen muss, für diese Reihe nichts wirklich Erhellendes liefern zu können. Und ein schweizer Theater läuft auch nicht anders als ein deutsches. Die Leute kommen aus unterschiedlichen Nationen und der Konkurrenzkampf, die Profilierungsdränge und Machtspielchen sind ebenso unspezifisch schweizerisch, genauso wie die wunderbaren Momente, die ausgelassenen Proben und die teils grandiosen musikalischen Eindrücke, die die St. Galler Sinfoniker bei mir hinterlassen haben - übrigens unter einem tschechischen Chefdirigenten: Jiri Kout.



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