England (von Tina Klötzl)

aus: JA-Heft 2/2000

Ich komme rein und sehe nur blau. Und blau sieht mich an. Sieht mich als Lehrerin an.
Blau sind bis zu 35 Kinder in blauen Schuluniformen in sehr kleinen Klassenzimmern. Und ich bin plötzlich sehr erwachsen. Lehrerin statt Studentin. 23 statt erst 23.
In England geht das "Erwachsenwerden" - was immer man auch darunter verstehen mag - ein bisschen schneller als bei uns. So ist vielleicht auch das höchstens 17-jährige Mädchen, das gerade seinen Kinderwagen an mir vorbeischiebt, selbst noch mehr Kind als schon Mutter. Vielleicht auch sie einer der Gründe für die knallfarbenen Werbeplakate in jedem Bus, die der Mutter im Falle von Alleinerziehung die passende Telefonnummer verraten, wer weiß. Ja, ja das Land mit der höchsten Scheidungsrate... Andererseits hat man mit ca. 17 sein Abitur und ein Studium dauert 3 bis 4 Jahre, und so ist so manche in unserem Lehrerzimmer jünger als ich und schon fertig - und macht ihre Sache fantastisch!

Einerseits: School - Disco für die 7-9 Jährigen. Ich wußte bisher nicht, dass so heiße kurze Tops und Röckchen in so kleinen Größen hergestellt werden. Die Musik dröhnt, die Mädels kreischen, es riecht nach Parfüm. Plötzlich sehe ich nur pink.
Andererseits: Kein Wunder! Soviel gibt's nachzuholen nach solange immer nur blau. Einerseits, andererseits, einerseits, andererseits....
Andererseits ist das alles gar nicht mehr so, wenn ich mit der Gitarre in einem Haufen blau sitze und mit den Kleinen "Die Affen rasen durch den Wald" singe. Da kommt die Phantasie zu ihrem Recht und das Lied wird zum Kriminalroman.
WER HAT DIE KOKOSNUSS GEKLAUT?? Die Affenmama? Der Affenonkel? Alex meint schließlich, er weiß jetzt Bescheid, es war der Affenmilchmann. Becaaauuuse, der hat die Kokosnuss in Kokosmilch umgewandelt und jetzt kann sie keiner mehr finden!... Alle finden diese Auflösung sehr zufriedenstellend (ich inklusive) und ich will fast nicht mehr die Strophe mit dem Affenbaby vorsingen. O.K., das Baby war's! Alex ist enttäuscht. Doch als ich sage, dass man sich doch ganz gut vorstellen könne, wie das Baby so an der Nuss nuggelt und trinkt, da seufzt Alex (erleichtert aus tiefster Seele): "Ich wußte, dass es was mit der Milch zu tun hatte!"

Wie schön ist das?! Da bin ich plötzlich daheim und kein bißchen mehr fremd. Und jung. Lache und bin nicht erwachsen und nicht deutsch.
Einerseits bin ich Lehrerin. Bringe deutsch bei. Erzähle über mein Land, werde mir mehr bewußt, als ich je war. Lerne es schätzen, sehe, es ist besonders. Werde mit Fragen konfrontiert, die ich nie erwartet hätte. Kinderfragen. Schwierige Fragen. Merke, dass ich deutsch bin. Aus einem Land fern jeglicher Vorstellungskraft komme, wenn Kinder mich fragen, ob's bei uns Dschungel und wilde Tiere gibt und ob wir auch arbeiten müssen. Und auch wenn mein Verhalten mir keinen deutschen Stempel aufdrückt, so gibt es doch ab und zu was zu lachen und zu helfen, wenn die Tina den Satz mal wieder dreimal anfängt und dreimal falsch und er einfach nicht raus will!
Andererseits bin ich Schülerin. Die Kinder bringen mir Englisch bei. Mehr noch. Bin in einem Land, das anders ist, als ich's mir vorgestellt hatte. Es ist ein wunderschönes Land. Birgt wunderbare Erfahrungen. Und für mich Spaß mit einer Schule Kindern - und sonst auch noch anderen Menschen, klar! Doch heute nur soviel dazu ...
Der Spaßfaktor kommt jedenfalls nicht zu kurz bei Englands tiefschwarzem, gutem Humor!

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