Norwegen (von Esther Jaksch)

aus: JA-Heft 3/2006

Zwischen Nordlicht und Mitternachtssonn

Das abenteuerliche Leben einer Austauschstudentin im Norden Norwegens

Dort, wo die Nordlichter im Winter am Himmel tanzen und die Sonne im Sommer über dem Meer nicht unter geht, habe ich gelebt. Der Norden Norwegens mit seinen beeindruckenden Naturerlebnissen hat mich magisch angezogen. Ich habe für ein Semester an Høgskole i Finnmark in  Alta studiert - einer Stadt mit 12.000 Einwohnern nicht weit vom Nordkap.

Leben einmal anders

Nach fünf Semestern in Würzburg wollte ich mich auf ein Abenteuer in der Einsamkeit am Ende Europas einlassen. In Alta erwarteten mich weder eine große Kneipenszene noch die neusten Trends. Meinen PC hatte ich gegen Langlaufskier eingetauscht, mein Telefon gegen einen großen Rucksack und den Fernseher gegen ein leeres Tagebuch - das ist nun voll von schönen Erinnerungen.

Mit Skiern an den Füßen geboren

Mitte Februar kam ich gemeinsam mit zwölf Austauschstudenten aus Frankreich, Tschechien, Deutsch­land, Finnland, Russland und der Niederlande in Alta an. Wir erlebten einen unvergesslich schönen Winter. Norwegen ist das Land des Skifahrens. Ein norwegisches Sprichwort lautet, dass die Kinder mit Skiern an den Füßen zur Welt kommen. Die Ski - ein norwegisches Wort - sind ein fester Bestandteil der nordischen Kultur. Ich benutzte sie nicht nur zur sportlichen Aktivität, sondern auch als ganz normales Fortbewegungsmittel. Wir unter­nahmen öfters größere Touren in die Finnmarksvidda, fuhren  mit dem Hunde- oder Rentierschlitten und bestiegen einen steilen Berg von 900 Metern. Das war nicht alles rein privat, schließlich studierte ich für ein Semester "Outdoor Activities" - eine norwegische Besonderheit, denn das Naturerlebnis spielt im Land der Mitternachtssonne eine große Rolle. "Auf Tour gehen" ist wohl die beliebteste Freizeitbeschäftigung der Nordmänner. Das kann ein Picknick sein, eine Wanderung, ein Ausflug mit dem Hundeschlitten, aber auch eine Autofahrt in die eigene Hütte am Meer.
Als der Schnee kurz nach Ostern schmolz, war ich enttäuscht. Mit dem Schnee, verschwanden auch die Nordlichter vom Himmel. An ganz klaren, kalten Abenden tanzen sie in den Farben grün, blau und rot über den Fjorden und Bergen. Ich staunte viele Stunden über dieses Naturphänom. Die Nächte wurden nun rasend schnell zu Tagen. Anfang Mai war es fast schon 24 Stunden hell. Damit wandelten sich auch meine Freizeit­gestaltung. Mit meinen norwegischen Freunden verbrachte ich viele Abende am Lager­feuer, beim Wan­dern, Radfahren und am Fjord. Es war eine Gruppe christ­licher Studierender, die mich warmherzig aufge­nom­men hatte. Ich habe viele gute Freunde ge­winnen können und als positiven Nebeneffekt ein gutes Norwegisch gelernt. Wir diskutierten viel, oft auch über christliche Themen. Als Katholik war ich unter Protestanten ein Exot. Ich fühlte mich jedoch nie unwohl - meine christ­lichen Freunde waren so stark im Glauben verwurzelt, dass sie mich in meinem Glauben nur bestärkten.

Nationalstolz auf Norwegisch

Am 17. Mai erlebte ich ein besonderes Phänomen nationaler Identifikation - den norwegischen Nationalfeiertag. Schon Norweger in Deutschland hatten mir von "ihrem 17. Mai" vorgeschwärmt, von der guten Stimmung der Menschen und von den Umzügen. Wochen vorher warf dieser Tag seine Schatten voraus: Flaggen wurden gehisst, Kinder liefen mit Fähnchen durch die Strassen und übten die Hymne. Am Nationalfeiertag erkannte ich das ruhige Städtchen fast nicht mehr wieder: Hunderte von Menschen in Trachten mit Fahnen und Musik­instrumenten zogen singend durch Alta. Sogar wir Ausländer durften uns am Umzug beteiligen.   Wir sollten uns auch an ihrem schönen Land, über ihren Wohlstand und ihrer Kultur freuen. Ich war tief beeindruckt.

Familie bestellt und bekommen

Auf meinen Wunsch vermittelte mir die Høgskole eine Familie, die ich regelmäßig besuchte. Sie hatten drei Kinder, zwei Hunde und ein weißes Holzhaus in einem Stadtteil Altas. Es entwickelte sich zwischen uns eine sehr herzliche Freundschaft. Norwe­ger sind sehr gastfreundschaftlich - in der Einsamkeit des Nordens sind die Menschen viel mehr aufeinander angewiesen. Gegenseitige Hilfe und Vertrauen wird im Norden groß geschrieben. Als ich krank wurde, haben mich meine norwe­gischen Freunde gesund gepflegt, an den Wochenenden zu ihrer Hütte mit­genommen, mich abgeholt, besucht und mir dabei die Kultur nahe ge­bracht. Diese Bege­gnungen haben mein Leben bereichert.

Mit Rucksack auf Reise

Ende Mai musste ich Abschied nehmen - von meinen Freunden, meiner Familie, dem Altafjord, den Bergen und allen schönen Erinner­ungen. Mit nur einem Rucksack brach ich auf eine fünfwöchige Reise durch Norwegen auf. Mich erwarteten eine Seereise mit dem Postschiff Hurtigruten, die Inselgruppe der Lofoten, die Städte Tromsø¸, Lillehammer, Trondheim, Bergen und Oslo. Ich fuhr mit dem Rad entlang dem Hardangerfjord, sah Wasserfälle, badete im Oslofjord, stieg auf Berge und verbrachte viele Nächte im Zelt. Die Mitternachtssonne schien bis zu meiner Abreise in Oslo Anfang Juli.

Ich habe während meiner Zeit dieses Land, das so gewaltig und beeindruckend ist an Naturphäno­menen nicht nur kennen, sondern auch lieben gelernt. Besonders bleiben mir meine Freundschaften nördlich des Polarkreises in Erinnerung - Norwegen lässt mich nicht los.

 

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