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Rainer Karlitschek über Verbandstradition

Rede der Bundessprecher anlässlich des Festaktes zur 50-Jahrfeier der JA am 30. September 2000 in Furth im Wald
erster Teil:

Rainer Karlitschek (Themengebiet: Verbandstradition)

Es ist mir per Los zugefallen hier den Anfang unserer Rede zu halten. Und es ist nicht gelogen, wenn ich sage: mein Herz pocht ziemlich heftig in diesem Moment. Es ist nicht die Tatsache, dass ich hier vor einem so großen Publikum reden darf - vielmehr ist es der selbst gesteckte Anspruch an einem solchen Anlass das in adäquater Weise über das zu große Pult zu bringen, was uns Vieren hier oben so sehr am Herzen liegt. Es ist dies die Huldigung einer Idee. Eine Idee von gesellschaftlichem Zusammenleben in Form eines Verbandes, genauer gesagt: der Jungen Aktion der Ackermann-Gemeinde.
Ja, was ist dieses Ding, dieser Verband, diese Junge Aktion? Was bedeutet das: 50 Jahre? Man muss sich das mal vorstellen. Wir sind selbst nicht einmal halb so alt. Erlebt haben wir von den fünf Jahrzehnten gerade mal eines. Und die Anfänge sind uns - wenn überhaupt - lediglich in stilisierten oder verklärten Erzählungen präsent. Wir feiern 50sten Geburtstag! - Das klingt in unserem jugendlichen Alter geradezu absurd. Na, warum sollen wir also den Kraftakt wagen, ein solches Jubiläum durchzuführen? Welchen Sinn kann das haben, außer daß wir die Chance nutzen, eine riesige Fete abzuhalten?
Die Antwort ist einfach: Das Jubiläum ist für uns eine Aufforderung darüber nachzudenken, was die besondere Kultur unseres Verbandes eigentlich ausmacht. Also eine grundlegende Reflexion über ein kulturelles Gebilde, von dem wir infiziert worden sind. Man muss sich das mal ruhig durch den Kopf gehen lassen. Viel Jugendliche stecken große Teile ihrer Freizeit neben Schule, Ausbildung oder Beruf in unseren Verband - ohne einen Pfennig Geld dafür zu erhalten: dahinter muss schon wirklich Leidenschaft stecken.
Um so wichtiger ist es, dass wir damit an die Öffentlichkeit gehen. Denn das, was für uns so natürlich erscheint, ist nämlich weithin alles andere als selbstverständlich.
Was ist nun das spezielle und viel beschworene JA-Feeling?
Es ist die Tatsache, das sich Jugendliche unterschiedlichster Art an einem Ort treffen, um gemeinsam Spaß zu haben, gemeinsam Dinge zu erleben, gemeinsam zu Feiern und gemeinsam zu "Saufen". Aber es ist eben noch viel mehr: Es ist gemeinsam diskutieren, gemeinsam streiten, sich gemeinsam neue Gedanken erschließen, gemeinsam über gesellschaftliche Dinge diskutieren, um sich dabei die Köpfe rauchig zu reden, bis aufs Messer zu streiten, und um sich anschließend wieder zusammenzuraufen.
Es ist wunderbar zu beobachten, wie Jugendliche - oft mit einem Altersunterschied von über zehn Jahren - miteinander kommunizieren. Da kommt es vor, dass ich mir als Theaterwissenschaftler von einer 15-jährigen sagen lassen muss, was an der Dramaturgie des Stückes nicht funktioniert, das ich mit meinem KAK so eben einstudiert habe. Und: - Sie hatte recht. Solche und ähnliche Anekdoten, die unser Tagungsleben einzigartig machen, ließen sich zu Hauf´ erzählen. Ja, und zu unserem Tagungs-Feeling gehört eben genauso auch der gemeinsame Gottesdienst. Der dauert dann meist an die zwei Stunden, ohne dass es einem lang vorkäme. Ich denke - morgen werden wir die Probe aufs Exempel erleben. Die Betonung liegt - nun zum 10.Mal - auf gemeinsam: Denn wir versuchen in sozialen Dimensionen zu denken. Unsere spezifische Kultur ist also eine Mischung aus emotionaler Verbundenheit, gesellschaftspolitischem Denken und Wirken, thematisch - inhaltlicher Schwerpunktsetzung, forciertem Ausleben kreativer Dränge und christlich - spiritueller Ausrichtung. Wir Bundessprecher haben lange überlegt, woher die Vielfalt und Kultur unseres Verbandes eigentlich kommt. Und wir glauben, es ist ein sensibles Gewebe aus Tradition im besten Sinne. Tradition verstanden als selbstverständliche Weitergabe sozialer Erfahrungen und Errungenschaften. Das hat bisher über fünf Jahrzehnte wie von alleine funktioniert. Der Kreislauf ist leicht aufgezeigt: Jeder Neue, der zur JA kommt, bekommt die Chance unser vielbeschworenes JA-Feeling selbst zu erleben. Hoffentlich findet er Gefallen daran und wird Mitglied. Früher oder später wird er gebeten, doch einmal selbst zu versuchen einzelne Programmpunkte vorzubereiten. Der nächste Schritt wäre es, ein Amt zu übernehmen. Im Optimalfall wird er sogar "Bundessprecher". So wird er seine Erfahrungen wie von selbst an die dann Jüngeren weitergeben. Und so können wichtige Errungenschaften von Generation zu Generation quasi vererbt werden. Dieser Schatz an modifiziert weitergegebenem Wissen ist unverzichtbarer Bestandteil unserer Verbands-Kultur. Getragen wird dieser Prozess letztlich von jedem einzelnen in der Jungen Aktion. Aus Dank verneigen wir uns daher bei den vorhergehenden Generationen, verneigen uns vor unseren Vorgängern, die den Verband auf ihre Weise geprägt haben und von denen wir gelernt haben. Wir spüren heute noch, dass wir von dieser Verbandsgeschichte getragen werden: von den Leuten, die uns immer noch treu die Stange halten. Wir verneigen uns vor denen, die den Verband aufgebaut haben, weil wir aktiv gestaltender Teil ihrer Geschichte geworden sind - ihr Engagement lebt in uns fort.
Zu unserer Verbandsgeschichte gehört unersetzbar das Tschechisch - Deutsche. Und hier ist der rote Faden von der Gründung des Verbandes bis heute noch viel offensichtlicher nachvollziehbar. Denn die Entstehung der Jungen Aktion steht in unmittelbarem Zusammenhang zu der Vertreibung der Deutschen aus tschechoslowakischem Staatsgebiet nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Gründer unseres Verbandes haben den unbeschreiblichen Akt der Vertreibung am eigenen Leibe erfahren müssen. Ihre Erlebnisse sind uns heute immer noch ein Andenken. Noch mehr bewundern wir, wie sie mit ihrem Schicksal umgegangen sind. Die Wunden saßen noch tief nach den Wirren des Zweiten Weltkrieges. Doch die Junge Aktion und die Ackermann-Gemeinde haben von Anfang an nach Aussöhnung mit den tschechischen Nachbarn gestrebt. Sie wollten ein christliches Zeichen der Versöhnung setzen. Sie glaubten, die Nachkriegsprobleme in einer gesamteuropäischen Friedensordnung lösen zu können. - Die Geschichte hat ihnen recht gegeben. Die kommunistischen Regime Osteuropas haben sich auf friedliche Weise überlebt. Es ist nun an uns Jugendlichen, den Weg des gesamteuropäischen Friedens fortzusetzen Doch erfreulicherweise stehen uns heute Türen offen, die Generationen vor uns verschlossen vorfanden. Aber die unzähligen Kontakte, die die Junge Aktion und die Ackermann-Gemeinde schon zu Zeiten des eisernen Vorhangs geknüpft haben, liegen nun wie ein roter Teppich vor uns, den wir nur noch zu beschreiten haben.
Die Junge Aktion und die Ackermann-Gemeinde sind dabei wie Zwillinge miteinander verbunden. Sie bilden ein starkes Team. Wir profitieren ständig von der großen Schwester. Sei es in finanzieller, gedanklicher oder politischer Hinsicht. Im Gegenzug sehen wir uns als ständigen Dialogpartner und kritisches Korrektiv.
Doch neben all den positiven Chancen, hat es auch seinen Preis mit unserem Hintergrund im tschechisch-deutschen Bereich zu operieren. Wir werden von außen immer noch als Vertriebenenverband wahrgenommen. Das waren wir - sind es aber schon lange nicht mehr. Wir sind schlicht ein katholischer Jugendverband mit inhaltlichem Schwerpunkt auf Mittel- und Osteuropa und Menschenrechtsfragen. Trotzdem dürfen wir uns in politischen Kreisen immer noch damit herumschlagen, wenn uns irgendwer wieder mal mit dem Titel der Vertriebenenvolksgruppe bezeichnet. Gerade diejenigen, die kraft ihres Amtes bestimmte politische Aufgaben bewältigen müssen, stoßen regelmäßig auf dieses Klischee. Das hat mit unserer verbandlichen Realität nichts zu tun. Anders gesagt: Wir haben uns - wie auch die Ackermann-Gemeinde - von einem Vertriebenenverband zu einem Interessensverband für Mittel- und osteuropäische und Menschenrechtsfragen weiterentwickelt. Geblieben ist für uns aber das Wissen, dass unsere Arbeit Teil eines komplexen Annäherungsprozesses ist. Sie ist Teil eines Annäherungsprozesses zweier Völkern, deren Geschichte noch bis in die Gegenwart der Aufarbeitung bedarf.
Kurz gesagt: Unsere Aufgabe besteht darin das sensible, ständig in Bewegung befindliche Wesen der Jungen Aktion frisch und lebendig weiterzuführen. Mit all den wertvollen Errungenschaften und den notwendigen Veränderungen - so wie sie es in den vergangenen Jahren verstanden hat, einen ständigen Verjüngungsprozess zu durchlaufen, in sozialer und politischer Hinsicht zugleich.

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