Unbesorgte brasilianische Lebensweise
Nachdem ich von meiner sehr netten Gastfamilie herzlich in Empfang genommen wurde, wurde mir sehr schnell klar, dass ich keine andere Wahl hatte als mich auf eine Lebensart, die durch das Wort tranqüilo (ruhig, unbesorgt) charakterisiert wird, einzulassen. Sonst wäre ich zerbrochen an einer 44-stündigen Arbeitswoche und den bis zu zweistündigen Arbeitswegen durch das Großstadtchaos von Belo Horizonte. Die Fahrten in den meist völlig überfüllten Bussen, Metros und illegalen Taxis konnte ich immerhin dazu nutzen, mir das Portugiesisch ein wenig anzueignen.
Denn wer die Sprache spricht und Samba tanzen kann oder sich zumindest um beides bemüht, der ist in Brasilien ganz klar im Vorteil. Dies öffnet die Türen, eine wirklich sehr vielfältige und interessante Kultur näher kennen zu lernen. Durch die spannende und leider auch traurige Geschichte des portugiesischen Kolonialstaates gibt es nämlich nichts, was es nicht gibt. Das beginnt bei den von Europa stark geprägten Süden des Landes, japanischen Einflüssen in Sao Paulo und endet in Salvador da Bahia, welche als afrikanischste Stadt außerhalb des Schwarzen Kontinents gilt.
Pelé war besser als Maradonna
Es ist angenehm, da die Brasilianer solch ein durchmischtes Volk sind, dass man nicht sofort überall als Ausländer auffällt. Meistens kann man dies aber doch nicht lange verbergen und dann lassen sie einen nicht los, bevor folgende Aussagesätze aus einem herausgepresst wurden: „In Brasilien gibt es die schönsten Frauen auf der Welt.“, „Der Karneval ist die aufregendste Feier der Welt.“ und „Pelé war besser als Maradonna.“ Über solche Sachen wird in Brasilien eben einfach nicht diskutiert.
Es fällt einem auch relativ schwer zu erklären, warum man in Europa gebrauchte Autos für nur 50 Euro kaufen kann, warum Bananen vergleichsweise billig zu Limetten sind und warum sich viele aufregen, dass es in Teilen Deutschlands Studiengebühren gibt.
In dem Entwicklungsland Brasilien gibt es leider nur wenige staatliche Studienplätze. Wem das große Los verwährt bleibt, muss auf privaten Universitäten studieren, welche auch für europäische Verhältnisse sehr teuer sind. Deswegen bleibt gute Bildung der kleinen reichen Oberschicht vorbehalten, während die breite Unterschicht nur schwer einen Ausweg aus ihrem Dilemma findet.
Shopping-Center und Blechhütten
Es ist die große Diskrepanz zwischen Arm und Reich, die das Hauptproblem Brasiliens darstellt. Imposante Shopping-Center gehören genauso wie obdachlose Straßenkinder zum Stadtbild jeder großen Metropole. Wohnhäuser sind einfache Wellblechhütten oder abgeschottete Festungen. Die oftmals fast schon paranoide Angst vor Kriminalität beeinflusst dabei sehr das Leben der Brasilianer.
Trotzdem bleibt Brasilien ein liebenswertes Land und wen es einmal in seinen Bann gezogen hat, den lässt es nicht mehr so schnell los.
Christoph Dörr