Hong Kong: „Asien für Anfänger“

„Anders-sein“

Mit „What’s your name?“ werde ich bei der Heimatfahrt mit der U-Bahn aus meinen Gedanken gerissen und ein Hong-Kong-chinesisches Kind steht vor mir und lächelt mich an. Dahinter die Mutter, die ihr Kind zu mir geschickt hat, dass es sein Englisch üben kann. Sobald ich mit dem Kind rede, dreht es sich beschämt zu seiner Mutter. Da ich anders aussehe, kann man mich als Westliche bzw. „Langnase“ in Hong Kong leicht erkennen. Aber nach einem Jahr Zusammenleben habe ich mich an das „Anders-sein“ gewöhnt.

Neu stößt auf Alt

Bei einer Bevölkerungsdichte von 6.400 Einwohnern pro Quadrat-Kilometer ist es nicht verwunderlich, dass man nie und nirgends auf der Straße, in der U-Bahn oder in einem der vielen Einkaufszentren alleine ist. 7 Millionen Einwohner müssen irgendwo leben und so werden immer mehr und immer höhere Häuser gebaut. Der Boden, auf dem meine Wohnung steht, war vor einigen Jahren noch Meer. Man nehme ein bisschen Müll – von dem gibt es sowieso mehr als genug – mische es mit einem Berg, den man abgetragen hat, und schüttet dies ins Meer. Darauf baue man dann Häuser mit 57 Stockwerken und hat so mit einem Haus mindestens 400 neue Wohnungen geschaffen. Problem vorübergehend gelöst. Und so passiert es nicht selten, dass man bei einem Foto von einem traditionellen chinesischen  Gebäude eine wahre Hochhauspracht mit auf dem Bild hat.
Dies ist auch ein Bild, das das Leben in Hong Kong prägt: Neu stößt auf Alt. Auf der einen Seite werden chinesisch Feiertage nach alten Traditionen gefeiert sowie Wohnung und Büros nach Feng Shui gebaut und eingerichtet. Auf der anderen Seite ist Hong Kong als Finanz- und Hafenstadt stark von der westlichen Kultur geprägt. Geld regiert die Stadt und die Technologie ist auf dem neuesten Stand.

Täglicher Kampf im Untergrund

Nachdem ich die Volksrepublik China und Vietnam besucht habe, kann ich verstehen, dass Hong Kong als „Asien für Anfänger“ bezeichnet wird. Die Tatsache, dass Hong Kong Jahrzehnte lang eine Kolonie Englands war und dass trotz 10jähriger Zugehörigkeit zur  Volksrepublik China als  Sonderverwaltungszone das Meiste beim „Alten“ geblieben ist, lässt sich nicht verbergen. An den Bushaltestellen wird sich in Schlangen angestellt und auf „Spucken“ gibt es eine hohe Geldstrafe. Pfeile auf dem Boden geben bei den Türen der U-Bahn an, das man von der Seite einsteigen und in der Mitte die Leute aussteigen lassen soll. Aber Hong Kong ist doch nicht England: Wenn sich die Türen der U-Bahn öffnen, sieht die Praxis ganz anderes aus. Aussteigen wird zu einer wahren Herausforderung; besonders wenn einem in den ‚Rush Hours’ Massen von Chinesen an der Tür entgegen kommen und keinen Platz machen wollen. Und nicht selten springt jemand noch schnell in die Bahn, wenn sich die Türen schließen und dies, obwohl die Bahn schon mehr als überfüllt ist. Ellbogeneinsatz ist hierbei ganz normal.
Durch Vogelgrippe und SARS ist die Bevölkerung sehr vorsichtig geworden. Tasten im Aufzug werden mindestens alle 4 Stunden sterilisiert und das Geländer der Rolltreppe im regelmäßigen Abstand gereinigt. Nicht selten sieht man Menschen mit Mundschutz, die bei einer leichten Erkältung ihr Immunsystem schützen wollen.
Schaut man sich dagegen manche Märkte oder Küchen in den ursprünglichen Gegenden Hong Kongs an, dann ist es mit der Hygiene vorbei. In Hong Kong geht man gerne und meistens mit vielen Leuten essen. Der Tisch ist rund und auf einer drehbaren Platte in der Mitte werden die Speisen platziert. Alles wird geteilt. Eine reiche Auswahl an Meeresfrüchten, Fischen, gefüllten Teigtaschen und natürlich Reis macht dabei alle satt. Es ist wahr, dass hier vieles (aber keine Hunde!) gegessen wird, was wir nicht kochen würden. Wenn man sich überwunden hat, schmeckt das einen oder andere auch gar nicht so schlecht.

In der Fremde

Zu Hause werde ich mich hier nie komplett fühlen. Die Hong-Kong-Chinesen können ein sehr hilfsbereites Volk sein, wenn man ein bisschen verloren aussieht. Aber wenn die Speisekarte nur in chinesischen Schriftzeichen vor mir liegt und der Keller nur gebrochen Englisch spricht, hilft der beste Wille nicht. Für viele Erledigungen braucht man viel Geduld und man sollte am besten Kantonesisch sprechen. Nicht selten passiert es, dass der Verkäufer während meiner Erläuterungen die ganze Zeit nickt und dann fällt mir auf, dass er kein Wort von dem verstanden hat, was ich gerade lang und breit erzählt habe.
Genauso groß wie der Abstand von 9000km zwischen Deutschland und Hong Kong ist der Abstand zwischen der europäischen und asiatischen Kultur. Das Leben in Asien bringt viele neue und interessante Erfahrung. Man lernt aber auch zu schätzen, was man in der Heimat hat.
Eine gute Möglichkeit am Wochenende den Menschenmassen der Stadt zu entkommen, ist eine Fahrt auf eine der 262 Inseln Hong Kongs. Im September bei 30 Grad am Strand zu liegen, lässt wenigstens für wenige Stunden Urlaubsstimmung aufkommen. Und wenn man jedoch am Abend die Lasershow an der Skyline Hong Kongs sieht, wird einem immer wieder bewusst, dass es eine wahnsinnig beeindruckende und gewaltige Stadt ist.
                                                                                            Susanne Dörr